[DE] Besetzen im 21.Jahrhundert – »Die Häuser denen die drin wohnen«

Besetzen im 21.Jahrhundert – »Die Häuser denen die drin wohnen«

Von azozomox (pdf)

Die großen Besetzungswellen 1980/81 in Westberlin und 1989/90 in Gesamtberlin, insbesondere im Ostteil der Stadt mit jeweils mehr als 120 besetzten Häusern, führte neben vielen Räumungen zu einer Legalisierung eines großes Teils jener Häuser (1). Die letzte große Räumungswelle von Häusern und Wagenplätzen erfolgte dann Mitte der 90er Jahre, verantwortet vom damaligen CDU-Innensenator undEx-Bundeswehrgeneral Jörg Schönbohm. Ganz wesentlich für das Verhindern von Besetzungen trug – neben dem Fehlen einer größerenund breiteren politischen Bewegung, die die Fähigkeit zu massiven Mobilisierungen gehabt hätte – die staatliche Repression in Form der konsequenten Anwendung der sogenannten »Berliner Linie« bei. Diese beinhaltete u.a. die Vorgabe, nach Stellung eines Strafantrags auch ohne Gerichtsbeschluss, sofort räumen zu lassen – meist binnen 24 Stunden bzw. weniger Tage nach einer Besetzung. Ursprünglich besagte diese vomSPD/FDP-Senat 1981 eingeführte »Berliner Linie der Vernunft« oder nur »Linie der Vernunft«, wie sie anfänglich genannt wurde, dass neubesetzte Häuser nur dann geräumt werden können, wenn die HausbesitzerIn zusätzlich zum gestellten Strafantrag auch ein prüfbares Bauvorhaben wie z.B. eine Sanierung vorweisen konnte.

Trotz alledem kam und kommt es immer wieder vereinzelt zu Besetzungenvon Gebäuden, Freiflächen und Häusern, und einmal gewonnene Freiräume werden keineswegs freiwillig aufgegeben. Diese Auseinandersetzungen sind als gesellschaftliche Kämpfe um eigene Gestaltungsmöglichkeiten sowie für mehr Autonomie und Selbstbestimmung innerhalb einer sich ständig unter Gentrifizierungseinflüssen stehenden Stadt zu begreifen, als Kämpfe um Räume und Orte jenseits der kapitalistischen Verwertungslogik.

Besetzt – Legalisiert – Gekündigt – Geräumt

Das Legalisierungen zuweilen nur einen vorübergehenden Schutz bieten,illustrieren exemplarisch die folgenden Beispiele der Häuser Rosenthaler Straße 68, Brunnenstraße 183, Liebigstraße 14 und des Linienhofes in der Kleinen Rosenthaler Straße 9 sowie des KunsthausesTacheles, die zuerst besetzt, dann im Zuge von Verhandlungen und Runden Tischen legalisiert und schließlich nach Weiterverkauf an neue EigentümerInnen gekündigt und geräumt wurden.

2001 wurde der 1990 besetzte »Eimer« (2) in der Rosenthaler Straße 68 in Mitte geräumt, nachdem per Gerichtsverfahren schon zwei Jahre zuvor die Räumung verfügt worden war. Der Eimer war ein bedeutender Underground-Club, mitgegründet von den Bands Freygang, Ichfunktion und Die Firma, der eine nicht-kommerzielle Gegenkultur für MusikerInnen undKünstlerInnen zur Mainstream-Kultur Berlins präsentierte. Das Hausgehörte der BEWOGE (ehemals WBM), die nach einer Razzia des Gewerbeamtes Ende Juni 2001 wegen angeblich maroder Stromleitungen und akuter Brandgefahr das Haus baupolizeilich sperren ließ, alle Stromleitungen zerstörte und alle sich vor Ort befindlichen Personen des Hauses verwies. Anfang Juli tauschte sie alle Schlösser aus, und die letzte sich im Haus aufhaltende Person wurde endgültig geräumt. Auch die Gründung des Vereins »Rettet den Eimer« und Verhandlungen mit der Wohnungsbaugesellschaft konnten den Eimer nicht zurückgewinnen. Damit war ein weiterer wichtiger Ort alternativer Kultur verlorengegangen.

Die Brunnenstraße 183 in Mitte mit dem über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Umsonstladen wurde 1992 erstmals besetzt, geräumt und 1993 erneut besetzt. Die BewohnerInnen erhielten »mündliche Mietverträge«. Das Haus wurde 2003 an die Immobilienfirma »team 2«verkauft, ging nach deren Insolvenz an die Bank »Eurohypo AG« über und sollte alsbald versteigert werden. Obwohl die BewohnerInnen das Hausselbst kaufen wollten, wurde es einen Tag vor der angesetzten Versteigerung 2006 an Manfred Kronawitter veräußert. Der neue Eigentümer überzog die BewohnerInnen mit Räumungsklagen und Anzeigenwegen allerlei Nichtigkeiten und erzwang im August 2007 eine polizeiliche »Personalienfeststellung«, bei der 600 PolizistInnen in das Haus eindrangen, alles abfilmten, teilweise durchsuchten und die Personalien der 31 anwesenden Personen aufnahmen. Die BesetzerInnen reagierten auf den steigenden Räumungsdruck mit der Mobilisierung einer politischen Öffentlichkeit und suchten die Unterstützung von LokalpolitikerInnen. Nach Verhandlungen mit Unterstützung des Bezirkesan einem Runden Tisch wurde ein tragbarer Kompromiss erarbeitet: Kronawitter kauft ein gleichwertiges Grundstück im Bezirk und verkauft den BewohnerInnen das Haus zum Selbstkostenpreis.

Nach langem Suchen fand sich ein geeignetes Grundstück in derAckerstraße 29, das jedoch nicht dem Bezirk gehörte, sondern demSPD/Linkspartei-Senat, der sich an einer politischen Lösung des Problems nicht interessiert zeigte (3).

Das Grundstück der Ackerstraße 29 wurde schließlich nicht an Kronawitter getauscht und verkauft, während die Brunnenstraße 183 am 24.11.2009 durch ein Großaufgebot von 600 PolizistInnen geräumt wurde. Von den ursprünglichen Plänen des Herrn Kronawitter, dort ein Mehrgenerationenhaus zu bauen, blieb am Ende nichts übrig. Das Haus wurde im Sommer 2011 über die Luxus-Immobilienfirma »Engel und Völkers« an die Angehörigen der (ehemaligen) Nudelfabrik-Familie Birkel weiterverkauft. Während der Eigentümer Kronawitter durch den Weiterverkauf eine Summe von 1,3 Millionen Euro erzielte und somit einen Gesamtgewinn von über einer Million einstrich, da er es 2006 für 280.000 Euro gekauft hatte, forderte er weiterhin Geld von ehemaligen BewohnerInnen (4).

Die Anfang 1990 besetzte Liebigstraße 14 in Friedrichshain erhielt 1992 Verträge durch die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF) und wurde 1999 von zwei Gesellschaftern der Lila GbR, Suitbert Beulker und Edwin Thöne (Vorsitzender des Kinderschutzbundes in Unna) erworben. Begonnene Verhandlungen um einen Gesamtmietvertag wurden 2001 von denneuen Eigentümern abgebrochen, Untermietverträge nicht akzeptiert und notwendige Reparaturen nicht oder erst nach Monaten durchgeführt. Im Winter 2004/2005 ließen die Besitzer im gemeinsamen Hof derRigaerstraße 95/96 und der Liebigstraße 14 für mehrere Monate ein Blockheizkraftwerk einbauen, da sie vergessen hatten, fristgemäß die Gas-Rechnung zu bezahlen. Da der Schornstein des Kraftwerkes aber nur bis zum 3. Stockwerk reichte, wurden die oberen Etagen der Häuser dauerhaft verqualmt. Im März 2007 folgte die fristlose Kündigung der Mietverträge, im Oktober 2007 bot der Eigentümer Beulker den BewohnerInnen des Hauses Rigaer Straße 94, dessen Eigentümer er ebenfalls ist, in einem Schreiben an, ihr Haus unter folgenden Bedingungen zu kaufen: »Der Herausgabe und Räumung aller Wohnungen der Liebigstraße 14« sowie »[dem] Entfernen aller Daten und Informationen zur Person Dr. Suitbert Beulker und der Hausverwaltung Oliver Rohr GmbHvon allen einschlägigen Internetseiten (vorab zu leisten)« (5). Mehrmals drang Beulker, mit Bauarbeitern und einmal mit PMS-BeamtInnen, unangekündigt und gewaltsam in das Haus ein, um Veranstaltungsräume im Erdgeschoss zu räumen oder die Zwischentür zwischen Eingang und Wohnbereich zu entfernen.

Nach erneuter Kündigungen aller Wohnungen am 19.12.2007 mit einer absurden Räumungsfrist von drei Tagen und nach dem Versuche, Anfang 2009 das Haus mit Hilfe der Stiftung Edith-Maryon selbst zu kaufen, scheiterten, wurden im November 2009 letztendlich jene Kündigungen aufgrund von »unzulässigen« Mietminderungen und unerlaubten baulichen Veränderungen für rechtens erklärt. Auch der letzte Prozess ging vor Gericht verloren. Der vorgeschobene Grund war eine Zwischentür, zu der die Eigentümer keinen Schlüssel hatten. Einladungen des Bezirkes zu Gesprächen, Verhandlungen und Runden Tischen blieben die Eigentümer fern. Am 02.02.2011 räumte ein Großaufgebot von 2.500 PolizeibeamtInnen die Liebigstraße 14. Nach Räumung und Sanierung ist die Miete im Haus um das Vier- bis Fünffache gestiegen, die Hausnummer Liebigstraße 14 wurde von den Eigentümern ausgelöscht und der ehemalige Zugang verschlossen, so dass das Gebäude nur über einen Nebenzugang in der Rigaerstraße 96 zu betreten ist.

Im September 2012 wurde nach 22 Jahren Existenz, letztendlich nach langjährigen juristischen Auseinandersetzungen, internen Streitigkeiten und Abfindungen in Millionenhöhe für Projekte, Gruppen und KünstlerInnen das Kunsthaus Tacheles »freiwillig« geräumt. Das über Jahre mit Fördergeldern ausgestattete, von der Abrissruine zum Touristenmagnet avancierte Tacheles hatte 1990 die Sprengung des ehemaligen Kaufhauses durch die Besetzung gerade noch verhindern können. Nachdem die HSH Nordbank das Tacheles-Areal vor ein paar Jahren unter Zwangsverwaltung gestellt und die Entmietung durchgesetzt hatte, folgte nun das traurige Ende. Die sehr unterschiedlichen Gruppen und KünstlerInnen des Tacheles, die sich im Laufe der Jahre durch Fluktuation noch vergrößerte, hatten es nicht geschafft, gemeinsam eine breite Front gegen die Räumung zu mobilisieren. Zu sehr war man untereinander zerstritten, zerrieben zwischen Kommerzialisierung, juristischen Klagen über zu zahlende Mieten und Rechnungen gegeneinander, bis hin zu Kompensationszahlungen und Rauskäufen für das freiwillige Verlassen des Gebäudes, das nicht wenige als Verrat empfanden. Über die Jahre hatte sich das Tacheles selbst massiv geschwächt – eine wirksame Solidarität von außen war am Ende kaum vorhanden. Der Tag der letzten Räumung verlief dementsprechend auch ganz ohne Widerstand.

Zuweilen kam und kommt es auch, zumeist nach längeren juristischen Auseinandersetzungen, die für die Hausbewohner_innen sehr zermürbend sind, zu sogenannten Teilräumungen von Häusern wegen angeblicher Verstöße gegen die Mietverträge. So ließen die Eigentümer Lin und Robert Prenka der Platinum Consult s.r.o. am 16.3.2010 das Erdgeschoss der Bödikerstraße 9 in Friedrichshain räumen, weil die Räume nicht als Versammlungsraum genutzt werden durften (6).

Von Schikanen gegen die BewohnerInnen ist auch hier zu berichten. So wurde der Garten planiert, eine Videoüberwachung am Eingang installiert sowie allen MieterInnen rechtswidrige Kündigungen (8.4.2008) ausgesprochen (7). Am 03.03.2011 folgte durch den Eigentümer Gijora Padovicz die Räumung zweier Erdgeschoßwohnungen des Hausprojektes in der Scharnweber Straße 29 in Friedrichshain, in denen der Schenkladen Systemfehler und das subkulturelle Wohnzimmer Chaekpoint untergebracht waren, da eine »gewerbliche Nutzung« im Mietvertrag nicht vorgesehen war. Dies war bereits die zweite Teilräumung, denn als im Februar 2007 nach der Rückkehr in das zwangssanierte aber immer noch mit Mängeln behaftete Haus die Miete zwei Tage zu spät überwiesen worden war, wurden am 5.2.2007 alle Wohnungen wegen »Mietrückständen« gekündigt– was jedoch von Gerichten in zwei Instanzen außer in einem Fall, derauch zur Räumung des 1.Stockes am 7.10.2010 führte, als gegenstandsloseingestuft worden war. Inzwischen wurde das Urteil des Landgerichtes,das Grundlage für die Räumung vom 7.10.2010 war, im Januar 2011 vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe (BGH) aufgehoben und an das Landgericht mit dem Auftrag, erneut zu entscheiden, zurückgewiesen (8).

Der vorläufig letzte Verlust einer seit 20 Jahren existierenden, nicht-kommerziellen Gemeinschaftsidee erfolgte am 3.12.2011 mit der Beschlagnahme des Werkstattprojektes Linienhof (u.a. Metall- und andere Werkstätten, Schmiede, Autoselbsthilfe) in der Kleinen Rosenthaler Str.9 in Berlin Mitte durch die Eigentümerin Karin Schopp (KLES-GmbH). Nach erfolgloser Ausschöpfung aller juristischen Mittel konnte der Verlust nicht verhindert werden, da der das Werkstattprojekt betreibende Verein aufgrund der hohen Gerichtskosten und der drohenden Inhaftungnahme der Vereinsvorstandsmitglieder Insolvenz anmelden und sich aus dem Hof zurückziehen musste. Die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) verkaufte das Grundstück 2001, und mit den neuen EigentümerInnen wurde mündlich eine unentgeltliche Weiternutzung des Geländes ausgehandelt. 2007 folgte der Weiterverkauf an Mathias Greffrath (taz, le mondediplomatique) und Hortensia Völckers (künstlerische Direktor in Bundeskulturstiftung), die »bei vollem Bewusstsein die Zerstörung des Projekts zugunsten ihres Eigenheims« durchzuführen gedachten (9). Nachdem der Abriss und Baubeginn im Sommer 2010 durch massive Proteste erfolgreich verhindert werden konnte, verkauften die EigentümerInnen im Juni 2011 das Gelände erneut, an eine frisch aus dem »Bekanntenkreis« gegründete GmbH. Trotz weiterer Proteste konnte sich der Linienhof letztendlich nicht retten und die KLES Gmbh zerstörte einen weiteren Ort alternativer Lebensweisen und selbstbestimmter Räume (10).

Alle diese Beispiele verdeutlichen, dass einmal abgeschlossene Verträge und Legalisierungen von NeueigentümerInnen, die mit unglaublichen Schikanen und oft rechtswidrigen Machenschaften die BewohnerInnen terrorisieren, angefochten werden können. In diesen Fällen setzte sich letztendlich das Profitinteresse mit dem Weiterverkauf, der Sanierung und höheren Neuvermietung sowie der Spekulation von Leerstand und Wohnraum am Ende gegen die Lebensentwürfe der zwischenzeitlich vollkommen legalisierten BewohnerInnen und NutzerInnen durch.

Von der geräumten Yorckstraße 59 bis zur legalisierten New Yorck imBethanien

Das folgende Beispiel demonstriert hingegen, wie eine Räumung in eine letztlich erfolgreiche Neubesetzung und Legalisierung, also den Erhalt des Projektes, überführt werden konnte.

Das Hausprojekt Yorckstraße 59 in Kreuzberg, in dem 60 Personen kollektiv und selbstbestimmt lebten und in dem eine Reihe politischer Projekte existierten (11), war von Beginn an ein vertraglich abgesichertes Projekt und somit kein besetztes Haus, wurde aber ebenfalls nach 17-jähriger Existenz am 6. Juni 2005 geräumt. Der neue Eigentümer, der Immobilienmakler Marc Walter, hatte das Haus 2003 erworben, im Sommer 2004 eine von der Hausgemeinschaft zurückgewiesene Mieterhöhung um 100 Prozent gefordert und letztendlich allen Mietparteien gekündigt.

Es folgte eine breit angelegte Öffentlichkeitsarbeit mit ständigen Presseerklärungen, einer 4-seitigen Zeitungsbeilage in der taz, der Jungen Welt und der Jungle World, sowie zahlreiche Aktivitäten und größere Mobilisierungen einschließlich Demonstrationen mit mehreren Tausend Personen. Unermüdlich und vielfältig, mit begleitenden Parolen wie »Kollektive Räume statt Investorenträume!« oder »Paß auf Yuppie, hier brennt die Luft!«, reihte sich eine Aktion an die nächste: Besetzungen des Rathauses in Kreuzberg, der Landesverbändeder SPD und der PDS, der Aussichtsplattform der Siegessäule mit der Entrollung eines gigantischen 30 Meter Transparentes; Hausbesuche beim Eigentümer, bei dem u.a. stinkender Fisch und Parolen wie der »Fisch-Front-Berlin« hinterlassen wurden, Sprayaktionen, Plakate, bis hin zu Soli-Kundgebungen vor Deutschen Botschaften in Wien, Warschau, Sliema, Gdansk und Montevideo. Polizeischutz bekam der Eigentümer, nachdem Autonome Gruppen ein paar LKWs der an der 1996 erfolgten Räumung des besetzten Hauses Palisadenstraße beteiligten Transportfirma entflammt und in ihrer Erklärung auch ausdrücklich eine Warnung gegen den Hausbesitzer M.Walter und den Hausverwalter G.Marweld formuliert hatten.

Die Solidarität war breit und keineswegs gering. Die BVV Kreuzberg hatte 2004 ihre Unterstützung für das Hausprojekt verkündet und einzelne PolitikerInnen der SPD/PDS Regierung äußerten sich ebenfalls in positiver Weise. Doch am Ende nutze alles nichts – der Eigentümer ließ räumen und errichtete dort Luxus-Lofts (»13 Lofteinheiten, biszu 280 Quadratmeter groß, hochwertige Ausstattung«). In einer der neuen Eigentumswohnungen wohnt jetzt der Schauspieler, Regisseur und Filmproduzent Till Schweiger, der zynischerweise in dem Film »Was tunwenn’s brennt?« (2001) den Hausbesetzer Tim verkörpert.

Das Beispiel Yorckstraße 59 offenbart erneut die schikanösen Vorgehensweisen von Eigentümern und zugleich das Scheitern der Politik. Bei der Zwangsversteigerung wurde das Haus direkt an Marc Walter veräußert und ein Kaufangebot des Hausprojektes übergangen. Der neue Besitzer und dessen Verwalter begannen sofort mit allem Mitteln, einschließlich rechtswidriger Methoden, die Hausgemeinschaft zu drangsalieren und einzuschüchtern. Das Wasser wurde abgestellt, Eingänge zu Veranstaltungsetagen zugemauert, Telefonleitungenabgetrennt, die Post geklaut, Überwachungskameras installiert, Fahrradreifen zerstochen, BewohnerInnen beschimpft und in einem Fall wurde einer Person vom Hausverwalter ins Gesicht geschlagen. Brauchbare Ersatzobjekte wurden nicht zur Verfügung gestellt, alle Verhandlungen und Runde Tische zum Erhalt des Projektes scheiterten, und schließlich– drei Jahre später, am 15. Dezember 2008 – entschied das Berliner Kammergericht, dass die Räumung rechtswidrig gewesen sei. Da zum Räumungszeitpunkt keine Räumungstitel gegen die BewohnerInnenvorgelegen hätten, wurden alle 145 erlassenen Strafbefehle für ungültig erklärt.

Doch die Ex-BewohnerInnen ließen sich nicht abschrecken und besetzten (12) am 11. Juni 2005 mit UnterstützerInnen leerstehende Räume des ehemaligen Sozialamtes im Südflügel des Bethanien-Gebäudes am Mariannenplatz 2 in Kreuzberg. Die BezirkspolitikerInnen ließen erst einmal nicht räumen und setzten auf Verhandlungen mit dem Ziel zeitlich befristeter Verträge. Parallel entstand die Initiative »Zukunft Bethanien«, der es schließlich gelang, über ein Bürger_innenbegehrenmit 14.000 gesammelten Unterschriften die vom Bezirk geplante Privatisierung des gesamten Bethanien-Komplexes zu verhindern. Die Verhandlungen stockten, wurden schließlich vom Bezirk abgebrochen und die Linkspartei Bürgermeisterin Reinauer wollte räumen lassen, doch nach einer mehr als dreimonatigen Duldung war selbst die Polizei nicht mehr bereit, ohne einen rechtlich abgesicherten Räumungstitel, den besetzten Südflügel zu leeren. Nach der Abwahl der Bürgermeisterin bei den Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung im Herbst 2006 und der Neuaufnahme der Verhandlungen mitsamt eines eingerichteten Runden Tisches, wurde vier Jahre nach der Besetzung, diese durch einen Vertragsabschluss über die Treuhänder GSE mit zunächst einer Dauer von 15 Jahre legalisiert. Das diese Besetzung letztendlich zum »Erfolg« im Sinne einer Legalisierung führte, hatte auch mit anderen äußeren Bedingungen zu tun. Neben der erfolgreich verhinderten Privatisierung und der Neukonstituierung der politischen Machtverhältnisse im Bezirk wurde vor allem von Seiten der Medien immer wieder auf die geschichtliche Tradition des Bethanien-Gebäudes hingewiesen. Bereits im Dezember 1971 erfolgte dort einer der ersten Besetzungen in Berlin überhaupt, die Besetzung des ehemaligen Maria Marta Schwesternwohnheimes, das kurz danach von den BewohnerInnen in Georg von Rauch Haus umbenannt wurde. Als Gebäude der öffentlichen Hand und im Zusammenhang mit sich ständig veränderbaren Machtverhältnissen sind somit die politischen Parteien vielmehr auf die öffentliche Meinung und ihrem WählerInnenklientel angewiesen als etwa eine Privatperson oder eine große Wohnungsbaugesellschaft. Dies machtes auch für die BesetzerInnen unter Umständen einfacher, auf diese staatlichen EntscheidungsträgerInnen politischen Druck auszuüben. Im Fall der »New Yorck im Bethanien«, wie sich die BesetzerInnen fortan in Bezug auf die geräumte Yorckstraße 59 nannten, führte dies nicht nur zum Vertragsabschluss, sondern am Ende auch zu einer Erweiterung und Selbstverwaltung des Gesamt-Projektes im Südflügel des Bethanien-Gebäudes, dem sich neben der bereits seit Jahren existierenden Kindertagesstätte die Heilpraktikschule und das Theaterpädagogische Zentrum anschlossen.

Allerdings muss hier einschränkend erwähnt werden, dass die Verhandlungsbereitschaft mit dem Bezirk nach einer weiteren Besetzung im Bethanien seine Grenzen erreicht hatte. Die Besetzung des Nordflügels des Bethanien-Gebäudes (ehemaliges Künstlerhaus) vom 12.06.2010, um dort »ein selbstverwaltetes Stadtteilzentrum – mit verschiedensten Projekten und Raum für die Verwirklichung ihrer Ideen – zuschaffen« (13), wurde nach kurzer Zeit durch einen Polizeieinsatz beendet. Stolz schreibt sich Jan Stöß (SPD), Bezirksstadtrat für Finanzen, Kultur, Bildung und Sport in Friedrichshain-Kreuzberg, die Räumung auf seine Fahne: »Den Besetzungsversuch des Nordflügels habe ich mit der Polizei entschieden beendet …« (14) Wenig hilfreich war allerdings auch ein Interview einer Sprecherin des Theaterfestivals »Berlin Lacht« mit der Berliner Zeitung, die dort als »Sprecherin des Vereins Südflügele.V.« betitelt worden war, und sich angeblich in deutlichen Worten von der Besetzung des Nordflügels distanzierte: (…) Was da geschah, sei »totaler Schwachsinn« (15). Auch das sOfa, das selbstverwaltete interkulturelle AnwohnerInnenforum, dass ab Juli 2007 einen kleinen Raum direkt am Bethanien-Haupteingang mietete, musste entgegen den von der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) gefassten Beschlüssen vom Februar 2008 und September 2006 nach einer Kündigung ihre Räumlichkeit im Eingangsbereich des Hauptgebäudes im September 2008 verlassen – und das, obwohl es einen Leerstand von rund 500 qm im EG des Bethanien gab. Dabei war das interkulturelle AnwohnerInnenforum im Bethanien ein Ergebnis des BürgerInnenbegehrens »Bethanien für Alle« mit mehr als 14.000 Unterschriften, dessen Forderungen die BVV Friedrichshain-Kreuzberg im September 2006 im Wesentlichen zustimmte. Das sOfa scheiterte am Unwillen der Verantwortlichen in der Politik, zuletzt mit der Begründung, das Künstlerhaus Bethanien drohe mit Auszug, wenn die »Kiezdödel« nicht verschwänden (16). Das Künstlerhaus hingegen zog 2010 aus freien Stücken aus demBethanien aus.

Vom SeniorInnenclub zum Häuserkampf – das Beispiel Stille Straße:

111 Tage war die Seniorenfreizeitstätte Stille Straße 10 in Berlin-Pankow von 40 NutzerInnen der insgesamt 29 AGs mit an die 340 SeniorInnen zwischen 63 bis 96 Jahren besetzt, bis schließlich nach zahlreichen Protesten und sehr breiter Solidarität mit den BesetzerInnen am 18.10.2012 der Finanzausschuss der Bezirksverordnetenversammlung einstimmig beschloss, dass die Verhandlungen um einen Erbbaurechtsvertrag zwischen der Volkssolidarität e.V. und dem Bezirksamt beginnen könnten. Für die Verhandlungszeit wurde ein einjähriger Zwischenutzungsvertrag abgeschlossen. Der Bezirk Pankow mit einer SPD/Grünen-Mehrheit hatte ursprünglich das Geld für die laufenden Kosten der Einrichtung (ca.52.000 Euro jährlich) nicht mehr aufbringen wollen und die Kündigung zum 30.6.2012 ausgesprochen. Mit dem Widerstand der SeniorInnen hatten sie dabei allerdings nicht gerechnet. Erst die Besetzung und die stetig wachsende Unterstützung führte zu einem Einlenken der PolitikerInnen. Schon im Frühjahr 2012 hatte die Linkspartei einen Antrag zur Suche nach einem freien Träger eingebracht, der aber von der BVV-Mehrheit abgelehnt wurde. Richtete sich die Besetzung anfänglich gegen die Schließung ihrer Begegnungsstätte, so entwickelte sich mit der Zeit ein erweitertes politisches Bewusstsein für die Probleme einer durchkapitalisierten Gesellschaft. So wollten sie auch ein Zeichen gegen die Schließung vieler sozialer, kultureller, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen für Ältere und Jüngere setzen: »Wir wollen ihnen kein Land hinterlassen, in dem eine Musikstunde für Kinder, ein Besuch in der Bibliothek oder eine Gymnastikstunde für Ältere zu Produkten geraten, alles nur noch in Geld bewertet wird und der Mensch, der noch nicht oder nicht mehr leisten kann, zum Kostenfaktor verkommt.(…) Wir wollen ihnen kein Land hinterlassen, in dem es milliardenschwere Rettungsschirme für marode Banken und fehlkalkulierte Großprojekte gibt, nicht aber für die Menschen mit ihren sozialen und kulturellen Bedürfnissen« (17).

Die Besetzung der Stillen Straße zeigt, dass Widerstand nicht nur möglich ist, sondern auch zum Erfolg führen kann. Dabei bedienten sich die gar nicht so »klassischen« BesetzerInnen durchaus sehr klassischer Symbolik und Ausdrucksformen mit heraus gehängten Transparenten und Plakaten (»Dieses Haus ist besetzt« und »Wir bleiben alle«) und bezogen sich somit sehr bewusst auf vorangegangene Hausbesetzungsbewegungen, Stadtteil-und MieterInnenproteste.

Für ein Soziales Zentrum in Berlin:

Weniger erfolgreich, wenn auch über Jahre recht hartnäckig, waren Bestrebungen eines breiteren Bündnisses, durch Besetzungen ein Soziales Zentrum für Berlin zu schaffen. Der Versuch, ein Soziales Zentrum zu etablieren, lehnte sich an die Idee der italienischen Centri Sociali und entstand nach den Protesten gegen den Weltwirtschaftsgipfel im Sommer 2001 in Genova in der »AG Zukunftswerkstatt« des Bündnisses »Ratschlag« (einer Initiative aus vielen Gruppen). Es sollte als »offener Ort für die Organisierung des gemeinsamen politischen Alltags« fungieren und nicht zum Wohnen dienen. Doch am Endes cheiterten alle Besetzungsversuche.

Die erste Besetzung erfolgte »anlässlich des EU-Gipfels in Brüssel und des Widerstandes und Protestes dagegen« am 15.12.2001 mit der Inbeschlagnahme des seit 1998 leerstehenden ehemaligen ÖTV-Gebäudes der Gewerkschaft ver.di am Michaelkirchplatz 4. Doch die Gewerkschaft ver.di, die auch schon durch ihren Neubau in der Köpenicker Straße den Wagenplatz »Schwarzer Kanal« von der Schillingbrücke vertrieben hatte, ließ sofort räumen. Das Gebäude stand auch danach Jahre lang leer und wurde während der WBA-Actions Days in den Jahren 2008 und 2009 zweimal erneut besetzt. Inzwischen ist es an die Primus Immobilien AG weiterverkauft worden, die dort am Michaelkirchplatz 4-6 bis 2014 insgesamt »69 lichtdurchflutete 2-, 3-, 4- und 5-Zimmer-Eigentumswohnungen sowie acht traumhafte Penthouses – mit Sonnenterrassen, sonnigen Loggien, Balkonen und Privatgärten« errichten lässt (18).

Knapp zwei Jahre später, am 09.10.2003, folgte durch das Sozialforum Berlin (SFB) die Besetzung der Glogauer Straße 16, einer seit 2002 leerstehenden ehemaligen Kita. Nach Verhandlungen angesichts der Anwesenheit mehrerer Polizei-Hundertschaften wurde das Haus »freiwillig« geräumt. Und obwohl die Fraktionen von SPD, Grüne und PDS in einem gemeinsamen Antrag in der BVV Kreuzberg-Friedrichshain beschlossen hatten, das Projekt für ein Soziales Zentrum in der Glogauer Straße unterstützten zu wollen, konnte man sich nicht einigen. Der Bezirk wollte für das Gebäude einen Quadratmeterpreis von drei bis fünf Euro netto kalt. Demgegenüber forderte das Sozialforum Berlin, das Haus mietfrei zu erhalten. »Die politische Entscheidung, Gebäude für die Betriebskosten zu überlassen, wurde bereits häufiger beschlossen, so z.B. für die neue Eliteuniversität Unter den Linden und dem nationalen Olympiakomitee in der Wilhelmstraße«, argumentierte das SFB (19). Zur Besetzung erklärte es: »(…) das Berliner Sozialforum als Teil des globalen Netzwerkes gegen den Neoliberalismus will in diesem Zentrum politische und soziale Projekte bündeln und unterstützen« (20).

Doch am Ende versackten alle Verhandlungen ohne konkrete Ergebnisse im Nichts. So kam es zum vorläufig letzten ebenfalls gescheiterten Versuch am 03.04.2004 mit der allerdings durch unmittelbar anrückende Polizeieinheiten schnell wieder beendeten Besetzung eines leer stehenden Gebäudes der Humboldt-Universität zu Berlin in der OranienburgerStraße 19 im Rahmen einer Großdemo von mindestens 250.000 Menschen gegen die Agenda 2010 unter dem Motto: »Aufstehn, damit es endlichbesser wird!«.

Im Frühjahr 2005 führte eine Bustour, organisiert von der Initiative für ein Soziales Zentrum, an einer Reihe leerstehender öffentlicher Gebäude vorbei. Insgesamt sind allein beim Liegenschaftsfonds Berlin an die 8.000 Objekte ungenutzt. Räume für ein Soziales Zentrum gebe es also genug, nur der politische Wille sei nicht erkennbar. Auch der Eintritt der PDS/Linkspartei in die Regierungskoalition mit der SPD im Jahr 2002 änderte daran nichts. Die Bustour war dennoch nicht ganz unergiebig. »Über 1.000 qm des ehemaligen Sozialamts Kreuzbergs seien in dem ehemaligen Diakonissenkrankenhaus Bethanien am Mariannenplatz zu haben« – wurde informiert. Eine Mitstreiterin von der »AG Zukunft Bethanien« schwärmte von dem »riesigen Potenzial, das in diesem Gebäude liegt« (21). Wer hätte da geahnt, dass schon zwei Monate später dieser Gedanke wieder aufgegriffen wurde und zumindest in einem Teil des besetzten Südflügels so etwas wie eine Variante eines Sozialen Zentrums entstehen würde.

Von Wagenplätzen, Gärten und anderen Freiflächen

Immer wieder waren und sind auch einzelne Wagenplätze zu unterschiedlichen Zeiten der Räumungsbedrohung ausgesetzt. Der Wagenplatz »Laster und Hängerburg«, der im November 2000 seinen Standort am Filmtheater am Friedrichshain gemäß der vorher getroffenen Vereinbarung und mit einer Entschädigung von 100.000 DM »freiwillig« geräumt wurde und seit 2001 an der Ecke Modersohn-/Revalerstraße steht, musste 2009 um sein Ende fürchten, nachdem zunächst die Linksparteifraktion im Stadtplanungsausschuss des Bezirkes Friedrichshain-Kreuzberg auf ihren Antrag hin mit den Stimmen der SPD/CDU/FDP eine Beschlussempfehlung ausgesprochen hatte, dass der Platz für eine Sport- und Freizeitfläche weichen solle. Erst nach Protesten lenkte die Linksfraktion schließlich ein und der Wagenplatz konnte bis auf Weiteres bleiben.

Gleich zweimal musste der queere Wagenplatz »Schwarzer Kanal« in den letzten Jahren umziehen. Zuerst wich er dem ver.di-Neubau an der Schillingbrücke, dann folgte der Umzug nach Auslauf der Zwischennutzungsvereinbarung mit der Hochtief AG von der Michaelkirchstraße (Mitte) in die Kiefholzstraße 74 (Treptow). Doch den Durchbruch auf der Suche nach einem geeigneten Ersatzgrundstück brachte erst die Besetzung einer leerstehenden Schule, im Besitz des Liegenschaftsfonds, in der Adalbertstraße während der Queer and Rebel/Globale Wagentage (22) im Oktober 2009. Zeitgleich zur Besetzung tagte ein Runder Tisch mit PolitikerInnen des Bezirkes im Bestreben, den Schwarzen Kanal als Projekt zu erhalten. Nach Bekanntwerden der Besetzung wurde kurzentschlossen entschieden, die Verhandlungen vor Ort weiterzuführen, zu denen sich durch einen Anruf des Baustadtrates Gotheder Geschäftsführer Lippmann vom Liegenschaftsfonds gesellte. Dort konnte zunächst ein Bleiben auf dem Gelände bis zu einem ersten Verhandlungstermin mit dem Liegenschaftsfonds durchgesetzt werden, auf dem schließlich dem Schwarzen Kanal der neue Platz angeboten wurde (23). Aber auch hier ist die Zukunft ungewiss.

Nur einen dreijährigen Nutzungsvertrag haben die Bewohner_innen 2010 erhalten, zudem liegt das Gelände neben der zukünftigen Bautrasse der heftig umstrittenen Stadtautobahn A 100 (24).

Die Wagengruppe »Rummelplatz« hat nach einjähriger Nutzung und Kündigung des Pachtvertrages für das Gelände in der Nöldnerstraße 13 in Lichtenberg durch die Zwangsverwaltung Wutzke und Förster im Oktober 2011, mit dem Liegenschaftsfonds und mit Unterstützung des ehemaligen Bezirksbürgermeisters Schulz, im Dezember 2011 einen bis zum 30.6.2012 befristeten Vertrag zur Zwischennutzung eines 2.200 m² großen Geländes in der Friedenstraße in Friedrichshain, abgeschlossen. Aktuell sind sie aber räumungsbedroht, da ihr Vertrag nicht verlängert wurde und sie bisher auch noch keinen neuen Platz gefunden haben. Und bis zum 29.11.2013 hätte das derzeit bewohnte Gelände in der Friedenstraße auch geräumt werden sollen. Die zwischenzeitliche Besetzung eines Platzes in der Hauptstraße 3 in Rummelsburg wurde jedoch nach zahlreichen und letztlich ergebnislosen Gesprächen mit Lichtenberger BezirkspolitikerInnen und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung am 8.12.2011 aufgrund einer bevorstehenden Räumung abgebrochen (25).

Als erfolgreich dagegen erwies sich im dritten Anlauf die Besetzung einer Freifläche des Liegenschaftsfonds in der Rigaer Straße 6/7 in Friedrichshain durch den »Wagenplatz Convoi« am 19.12.2002, die mit Unterstützung von BürgervertreterInnen und LokalpolitikerInnen zuerst Zwischennutzungsverträge erhielten und seit 2008 nach dem Erwerb jener Freifläche durch die Wohnungsbaugenossenschaft »Bremer Höhe« eG langfristig vertraglich abgesichert sind.

»Kiezgärten für alle, statt Badeteiche für Reiche!« forderten 2009 die BewohnerInnen des Hausprojektes Kinzigstraße 9 als Antwort auf die Pläne des Investors Wolfgang Haffner, den fünf Jahren existierenden Nachbarschaftsgarten Rosa Rose zu zerstören, um dort zwei Häuser mit insgesamt 17 Eigentumswohnungen entstehen zu lassen. »Der einzigartig gestaltete Gemeinschaftsgarten bestehend aus naturnahem Bade- und Schwimmteich, Holzsteg und großzügigem Terrassenbereich aus unbehandeltem Lärchenholz sowie Saunabereich, lädt zum Schwimmen, Entspannen und zum Wohlfühlen ein. Eine Oase der Ruhe und ein Treffpunkt für alle Eigentümer«, ist auf der Webseite des Investors zu lesen. Richtig schmackhaft wird dort die »Marke Friedsrichshain« präsentiert: »Multikulturell geprägte Kieze, Traditionen und Veränderungen treffen hier aufeinander und erzeugen ein einzigartiges Flair, welches ein wenig an das berühmte Studenten-Viertel Quartier Latin in Paris erinnert« (26). Diejenigen dagegen, die den seit 2004 existierenden Nachbarschaftsgarten Rosa Rose jahrelang bewirtschaftet hatten, werden nicht erwähnt. Ins Leben gerufen durch einige BewohnerInnen der Kinzigstraße auf einer Fläche von 2000 m², hatte er sich zu einem Ort unterschiedlichster NutzerInnen entwickelt: Arbeitslose, Kinder, RentnerInnen, HundebesitzerInnen, StudentInnen, ArchitektInnen, KünstlerInnen. Schließlich wurde der Garten in zwei Phasen geräumt, der sich nun vertraglich abgesichert durch das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg in der Jessener Straße auf einer neuen Fläche befindet. Allerdings hat sich mit dem Ort auch die Zusammensetzung der Gartengemeinschaft, zwar vergrößert, doch auch verändert. Die neuen Eigentumswohnungen im Luxussegment auf der geräumten Gartenfläche in der Kinzigstraße haben ihren Preis – zwischen 2.700 bis 3,000 € pro m² wurden dort schon 2009 verlangt (27). Einerseits also ein klassisches Beispiel von Verdrängung durch Schaffung neuer Eigentumswohnungen, anderseits zumindest Erhalt des Gartens wenn auch an anderer Stelle.

Etwas mehr Glück hatte der »Ton Steine Gärten« Nachbarschaftsgarten am Mariannenplatz (28). Auf der Suche nach einer Gartenfläche – nach gescheiterten Gesprächen im Rahmen des Bürgerbeteiligungsverfahrens mit dem Bezirksamt Kreuzberg – gelang einer Gruppe (29) die Besetzung eben jener Fläche des Gartenbauamtes, die sie zuvor eingefordert hatte.

In Verhandlungen mit dem Bezirk erhielt die Gruppe am 1.7.2009 nach Unterzeichnung eines Kooperationsvertrages die 2.000 qm große Fläche zwischen dem Georg von Rauch Haus und dem Bethanien Hauptgebäude. Insofern hat die Besetzung des besagten Gartenbauamtgrundstückes, die nach wenigen Tagen durch eine Räumung am 17.6.2008 beendet worden war, zu Verhandlungen und schließlich zur Legalisierung einer direkt danebenliegenden Freifläche geführt, und erwies sich somit als geschickte politische Strategie, um den Forderungen Gehör zu verschaffen.

Im Falle der Berliner Umsonstläden war diese Strategie allerdings weniger fruchtbar. Nach der Räumung der Brunnenstraße 183 im November 2009, mit dem Verlust des bekanntesten Umsonstladen Berlins, blieben mehrere Versuche einer Neubesetzung erfolglos. 2010 wurde im April nach nur einem Tag ein seit Monaten leerstehender Laden am Heinrichplatz in Kreuzberg 36, als Umsonstladen »Diesseits«, im August der Umsonstladen in der Kastanienallee 86 nach einigen Monaten Existenz und im Oktober der Umsonstladen in der Falckensteinstraße 5 nach zwei Tagen geräumt. Am Heinrichplatz wurde ein leerstehender Laden besetzt, nachdem dort das bekannte Café »Jenseits« Ende des Jahres 2009 aufgrund einer Verdoppelung der Miete durch die Eigentümerin des Hauses, die »Mähren-Gruppe« (30), schließen musste. Inzwischen läuft das Café mit gleichem Namen und neuem Besitzer, aber verteuerter Miete weiter. In der Kastanienallee und in der Falckensteinstraße waren die vorherigen Mieter ebenfalls vom Eigentümer durch eine Erhöhung der Miete um mehr als 100% vertrieben worden. Die neu eingerichteten Umsonstläden wurden von den NachbarInnen wohlwollend aufgenommen, wie aus Fenstern hängende Transparente bewiesen.

Besetzungen wurden auch an den Universitäten zur Praxis. So wurde die Oubs von Studierenden der Humboldtuniversität zu Berlin als »Offene Uni Berlin« während des Studistreiks 2003/2004 besetzt und nach Jahren der Nutzung am 6.10.2010 geräumt. Auch andere politische Gruppen fanden die Zustimmung großer Bevölkerungskreise: So die »Initiative Squat Tempelhof/Reclaim Tempelhof – Nehmen wir uns die Stadt zurück«, die durch die Besetzung des 2009 geschlossenen Flughafens Tempelhof (der größten Freifläche Berlins) am 20.6.2009 und weiterer Aktionen und Demonstrationen – wie dem Aktionstag am 8.5.2010, der offiziellen Eröffnung des Geländes durch den Senat – die öffentliche Nutzung für alle einforderten und der kommerziellen Nutzung und neoliberalen Stadtpolitik unter Verwertungs- und Profitinteressen eine Absage erteilten, oder die Occupy-Bewegung, die mit Hilfe von Besetzungen öffentlicher Plätze die kapitalistische Wirtschaftsordnung in Frage stellt. Sie alle greifen auf ähnliche Formen des Protests als politisches Vehikel für die Aneignung von unten zurück. Dazu zählen auch die Camps und Platzbesetzungen der Mietergemeinschaft Kotti & Co, die seit Mai 2012 im Protest-Gecekondu gegen steigende Mieten am Kottbusser Tor demonstrieren, sowie die circa 100 Refugees, die im Anschluss eines Protestmarsches von Würzburg nach Berlin gegen rassistische Asylgesetzgebung und Politik seit Oktober 2012 in Zelten am Oranienplatz campen, um ihre Forderungen (wie die Abschaffung der Rezidenzpflicht) durchzusetzen.

Organisierung, Kampagnen, Strategien und Visibilität bedrohter Projekte

Die bedrohten Hausprojekte und Wagenplätze haben auf den Räumungsdruck und die Räumungen in den vergangen Jahren reagiert und auf verschiedenen Ebenen und mit vielfältigsten Mitteln versucht, Unterstützung zu organisieren, räumungswillige EigentümerInnen unter Druck zu setzen, ihre mediale Präsenz zu erweitern, den politischen Preis für Räumungen in die Höhe zu treiben und sich wieder stärker zu vernetzen.

Die ursprünglich für den Erhalt des Hausprojektes »Köpi« geplanten Aktionstage wurden nach der legalen Absicherung und unter Einfluss der Kämpfe um das am 1. März 2007 geräumte autonome Zentrum »Ungdomshuset« in Kopenhagen und der »One Struggle One Fight – Demonstration für Autonome Freiräume und Selbstorganisation« (31) vom Dezember 2007 auf alle bedrohten Hausprojekte und Freiräume in der Stadt ausgeweitet. Es entstand die WBA-(Wir bleiben alle)Kampagne, die jeweils 2008 und 2009 mit »Action- Days and Weeks« durch eine Vielzahl von Aktionen gegen Gentrifizierungsprojekte wie Mediaspree, gegen Immobilienfirmen, Wohnungsbaugesellschaften, HauseigentümerInnen, sowie mit abgefackelten Luxusautos und Hausbesetzungen von sich Reden machte. Gleich zweimal wurde dabei erneut das seit Jahren leerstehende Haus am Michaelkirchplatz 4 besetzt und gleich wieder geräumt. Im Wesentlichen basiert die »Wir bleiben alle!«-Kampagne auf dem Prinzip des »Do It Yourself« (D.I.Y.), »eine Distanzierung von einzelnen Aktionsformen findet nicht statt« (32). Zum Abschluss der WBA-Action-Weeks 2009 wurde versucht, den Flughafen Tempelhof zu besetzen. Die United We Stay-Kampagne war ein Zusammenschluss von mehreren bedrohten Hausprojekten, die im März 2009 eine Demo mit 4.000 Personen organisierte. Weitere Vernetzungsversuche erfolgten auf dem Intersquat-Festival 2010 sowie regelmäßig stattfindenden WBA- und Autonomen-Vollversammlungen.

Eine gemeinsame starke Organisierung wie in den BesetzerInnen-Räten der 80er oder 90er Jahre existiert zweifelsohne nicht. Zudem ist eine gemeinsame Vorgehensweise bei jeweils unterschiedlichen Interessen der privaten EigentümerInnen schwieriger. Und selten sind die Häuser, wie im Fall Bethanien, im Besitz des Bezirkes. Angesichts dessen ist die Mobilisierunsfähigkeit einzelner Projekte/Bündnisse bemerkenswert.

Um Räumungen zu verhindern, entwickeln die BewohnerInnen ganz unterschiedliche Strategien und Taktiken, zumeist in einer Kombination vielfältigster Protest-und Widerstandsformen.

So erwies sich in einigen Fällen die Strategie, die Eigentümer aus ihrer Anonymität zu zerren, ihr (privates) Umfeld politisch mit einzubeziehen oder in ihren Vorgärten zu demonstrieren, als durchaus wirkungsvoll. Und die sehr präsente Öffentlichkeitsarbeit der Yorckstraße 59 konnte die Räumung zwar nicht verhindern, schuf jedoch ein mediales Echo, das sich nach der Besetzung des Südflügels im Bethanien von Vorteil erwies.

Die BewohnerInnen der Liebigstraße 14 zogen viele Register und ließen nichts unversucht:

Sie wehrten sich juristisch vor Gericht, zeigten NachbarInnen ihr Haus, setzten sich mit PolitikerInnen aus dem Bezirk zu Gesprächsrunden zusammen – sechs Runde-Tische-Sitzungen gab es – und versuchten am Ende das Haus selbst zu kaufen. Mit allem scheiterten sie. Schließlich fuhren sie ins 600 Kilometer entfernte Unna, um einen der Eigentümer, Edwin Thöne, den Geschäftsführer des Kinderschutzbunds, zu treffen. Doch er war für niemanden zu sprechen. Auch ein Offener Brief einiger PolitikerInnen von Januar 2010, direkt an die Hauseigentümer gerichtet, mit der Aufforderung, sich endlich an einer politischen Lösung zu beteiligen, blieb unbeantwortet (33). Am 24.01.2011 wurde auf Antrag der Grünen in der Innenausschusssitzung des Abgeordnetenhauses über die bevorstehende Räumung diskutiert. Dabei hatte die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram das Flugblatt »Der Wut das Unverständliche nehmen« der Liebig 14 verteilt, während der damalige Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) seine verbale, aber am Ende wirkungslose Sympathie zum Ausdruck brachte: »Die Liebigstraße 14 ist eines der Projekte, die für die kulturelle Vielfalt in unserem Bezirk wichtig sind und ihn attraktiv machen.« (34)

Auch Gesine Lötzsch, Linkspartei-Chefin, ließ sich zu einer Äußerung hinreißen, so sehr hatte die Räumung auch das Tagesgeschehen der Berliner Politik erreicht: »Die Verantwortung für diese Entwicklung liegt bei den politisch Verantwortlichen, dem Senat. Ich habe mir eine politische und friedliche Lösung gewünscht.« (35) Drei Tage vor der Räumung am 29.01.2011 solidarisierten sich 3.000 Menschen auf einer Demo mit den BewohnerInnen. Schließlich blieb den BewohnerInnen und UnterstützerInnen nichts anderes übrig, als wenigstens den politischen Preis einer Räumung so in die Höhe zu treiben, dass in Zukunft Erwägungen wegen zu erwartender heftiger Proteste, von Räumungen abzusehen, nicht auszuschließen seien – hieß es auch in dem im Innenausschuss verteilten Flugblatt:

»Die neoliberale Umorganisierung ist ein Trend, der seit 30 Jahren anhält und der die Gestaltbarkeit der Stadt durch mehr oder weniger demokratische Prozesse immer mehr beschränkt. Ohne massiven Druck aus der Bevölkerung wird sich der Berliner Senat nicht bemüßigt fühlen, gegenzusteuern. Das Land Berlin, die eingesetzten Tochtergesellschaften von Liegenschaftsfonds bis zu den »Quartiersaufhübschern« werden dadurch zum legitimen Angriffsziel direkter Aktionen, die sich gegen Privatisierung, Gentrification und zum Zwecke der Solidarität mit der Liebig14 richten. (…) Solange sich der Berliner Senat in Sachen Stadtpolitik für die jeweils günstigste und gewinnbringendste Option entscheidet, führen wir das Kostenargument ad absurdum: Die Räumung wird teuer! Verhindern wir die Räumung der Liebig14 – Auf allen Ebenen mit allen Mitteln.

Wir rufen dazu auf, im Vorfeld der Räumung aktiv zu sein, um diese einerseits zu verhindern, aber auch langfristig eine Atmosphäre zu schaffen, in der (Neu-)Besetzungen machbar und durchsetzbar sind. Denn der Senat ist nicht der einzige Player, der in dieser Stadt Fakten schaffen kann.« (36)

Und die Räumung wurde teuer, sehr teuer – die Proteste als Reaktion auf die Räumung erreichten eine bis dahin nicht erwartete Wucht. Ein martialisches Aufgebot von 2.500 Einsatzkräften der Polizei musste das Haus räumen. Am Abend demonstrierten 3.500 Leute gegen die Räumung.

Die Demonstration wurde nach massiven Polizeiangriffen aufgelöst. Daraufhin explodierte die Lage. Im Friedrichshainer Kiez wurden an verschiedenen Stellen Barrikaden errichtet. Die O2-Arena, Banken, der Liegenschaftsfonds wurden entglast und mehrere Einsatzfahrzeuge der Polizei mit Steinen beworfen. In der ganzen Stadt schien sich das dezentrale Aktionskonzept, nach Auflösung der Demo mit vielfältigen Aktionen vorzugehen, zu bewähren. Denn die Angriffe richteten sich gegen mehrere Bankfilialen, Supermärkte, ein Autohaus, zwei Kaufhäuser, verschiedene Modegeschäfte, Bürogebäude, eine Polizeiwache und das renommierte KaDeWe. »Schon ein einfaches Schaufenster kostet rund 2.300 €. Da haben wir bei einem Großkunden, bei dem wir 18 Scheiben ersetzen müssen, eine Rechnung von bis zu 50.000 €, und bei Banken wird die Reparatur noch teurer, weil hier Spezialglas benötigt wird«, so eine Glaserei (37). Laut Medien belief sich der gesamte Sachschaden auf über eine Million Euro, und laut Klaus Eisenreich, dem Berliner Landesgeschäftsführer der Gewerkschaft der Polizei, kostete der Einsatz der Polizei ebenfalls bis zu einer Million Euro (38). Somit schienen sich die auch auf Plakaten, Häuserwänden und Flugblätter verbreiteten Slogans »Ihr räumt – wir bestimmen den Preis« und »1 Million Sachschaden pro Räumung« bewahrheitet zu haben. Bereits 1981 während der Hochphase der Hausbesetzungsbewegung in West-Berlin fand diese Kosten-Nutzen-Logik Zuspruch. So hieß es Ende Januar 1981 in einem Flugblatt des Vorläufigen Rates der Autonomen Republiken Neukölln Kreuzberg: »Macht es teuer für Sie! Die einzige Ebene, auf der sie was kapieren können, ist Geld! Jeder Tag, den unsere Genossen sitzen, soll 1 Million Sachschaden kosten. (…) Jedes geräumte Haus 1 Million extra! Jede Verurteilung 1 Million extra«. Und nur 8 Monate später wurde erneut öffentlich postuliert: »1 Million Sachschaden pro Räumung«, auch als Antwort auf die Ankündigung des damaligen Bausenators Rastemborski (CDU) vom 31.7.1981, demnächst neun Häuser in Schöneberg räumen zu lassen (39).

Eine Woche nach der Räumung wurde auf Antrag der CDU im Bundestag über die Räumung des besetzten Hauses in der Liebigstraße 14 und die anschließenden Auseinandersetzungen zwischen DemonstrantInnen und Polizei in einer Aktuellen Stunde im Bundestag diskutiert (40). Zum Jahrestag der Räumung, dem 4. Februar, mobilisierten sowohl 2012 als auch 2013 die vom Liebig14-Hauskollektiv mitorganisierten Zombi-Demos (»Never Rest in Peace« 2012, The Return of the Living Death 2013) tausende Menschen, um gegen steigende Mieten und Verdrängung zu protestieren (41).

Die »Köpi«, ein 1990 besetztes und ein Jahr später legalisiertes Hausprojekt in der Köpenicker Straße 137, stand schon mehrmals bei anberaumten Zwangsversteigerungen vor dem Verkauf an neue EigentümerInnen. Der im Rahmen eines Rückübertragungsverfahrens 1995 zum neuen Eigentümer aufgestiegene Volquard Petersen kündigte 1996 die Mietverträge und reichte eine Räumungsklage ein. Diese wurde jedoch abgewiesen und die Kündigungen für nichtig erklärt. Aufgrund hoher Schulden wurde das Haus 1998 gepfändet und unter Zwangsverwaltung der Commerzbank gestellt. Seit 1999 wurde mehrmals versucht das Haus zu versteigern – bei den ersten beiden Versteigerungen fand sich kein einziger Interessent; der Antrag für eine dritte Versteigerung wurde im Mai 2000 zurückgezogen. »Mehr als 50 Interessenten und Anfragen habe es über die Jahre für das Grundstück in Mitte gegeben«, heißt es beim Berliner Senat; doch dann nahmen sie alle wieder Abstand davon. Mit ihrer schonungslos offenherzigen Begrüßungskampagne »Köpi bleibt Risikokapital«, und mehreren Mobilisierungsdemos mit jeweils mehreren tausenden TeilnehmerInnen gelang es, viele potentielle InvestorInnen abzuschrecken. Das von der Köpi geschaffene Image »Wer diese Haus kauft – wird die Risiken nicht kalkulieren können«, hat sich als überaus effektive Strategie erwiesen. Erst 2007 wurde das Haus an Besnik Fichtner, als Geschäftsführer einer Gesellschaft mit dem Namen »Plutonium 114«, in der er als Treuhänder für den wahren Eigentümer Siegfried Nehls, einem Berliner Immobilienmakler fungierte, für die Hälfte des Verkehrswert (835.000 €) veräußert, mit dem Ziel, auf dem Gelände Luxuslofts mit Yachtliegeplätzen zu errichten. Schließlich kam es zu Verhandlungen mit Fichtner, bei denen die Mietverträge um 29 Jahre verlängert wurden. Doch nach finanziellen Schwierigkeiten ist inzwischen die Commerzbank wieder zum Gläubiger geworden. Gemeinsam mit dem Finanzamt Tiergarten wollte sie Ende Februar 2013 durch eine Zwangsversteigerung zweier Teilstücke der Köpenickerstraße 133-138, auf der auch der Wagenplatz Køpi liegt, Schulden des Grundstücksbesitzers von rund einer Million Euro eintreiben. Ein Teilgrundstück, die Köpenickerstraße 133, wurde von einer Tochterfirma des bisherigen Eigentümers für 405.000 Euro gekauft. An den Besitzverhältnissen hat sich somit wenig geändert und es ist zumindest bislang weiter nichts passiert. Die Abschreckungsphilosophie (»Wer die Köpi kauft, kauft schlaflose Nächte« – die BewohnerInnen haben daran nie Zweifel aufkommen lassen) und der breite Widerstand scheinen zu wirken: »Wir wollen nicht der letzte Pickel auf der Maske einer sauberen Hochglanzstadt sein. Es geht nicht nur um die Köpi, sondern um die Verteidigung unkommerziellen und unkontrollierbaren Lebens und Handelns. Kapitalismus ist angreifbar! Commerzbank in die Insolvenz treiben!« (42)

Nur das kämpferische Postkartenmotiv »Die Grenze verläuft nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten«, das groß auf der Außenwand der Köpi prankt, ist durch einen inzwischen auch wieder gestoppten Neubau neben dem Haus verdeckt worden.

Zu ständigen und unglaublichen Angriffen durch den Hausbesitzer Beulker kam es auch in dem 1990 besetzten und 1992 legalisierten Haus Rigaer Straße 94, das er 2000 gekauft hat.

Der Eigentümer versuchte, alle BewohnerInnen einzeln aus dem Haus zu klagen. Er konnte Ende 2002 in fünf Fällen vor dem Landgericht Berlin die Kündigung durchsetzen, während in fünfzehn Fällen die MieterInnen gewannen. Nachdem Beulker im Herbst 2002 die Gemeinschaftsräume und das Kneipenprojekt »Kadterschmiede« räumen ließ, folgten im Mai 2003 die Räumungen der fünf Wohnungen. In den Tagen danach zerstörte er, unter den Augen der Polizei und gemeinsam mit Bauarbeitern, Kachelöfen und Kücheneinrichtungen der geräumten Wohnungen und riss Zwischenwände zwischen Vorderhaus und Seitenflügel heraus. Weiterhin wurden eine Tischtennisplatte im Garten, Fahrräder im Treppenhaus oder Waschmaschinen zerstört, über gewaschene Wäsche Farbe gekippt und die Kneipe zertrümmert. Während ein Bewohner von Beulker persönlich angegriffen wurde, wurden UnterstützerInnen von Bauarbeitern mit Knüppeln bedroht und vom Wachschutz mit Teleskopstangen und Schlagringen angegriffen. Der Wachschutz erteilte wahllos BewohnerInnen und BesucherInnen Hausverbote oder wollte sogar Personalausweise einsehen, während andere MieterInnen trotz einstweiliger Verfügung nicht ins Haus gelassen wurden. Im Erdgeschoss des Vorderhauses wurde eine Wohnung zu einer Art »Pförtnerloge« inklusive Türsummer umgebaut, mit Fenster in die Hofdurchfahrt, in der eine Eisengittertür eingebaut war, die beim Betreten grell erleuchtet wurde (43).

Die Vorgehensweise des Hausbesitzers erscheint wie ein Horrorszenario, um MieterInnen mit allen Mitteln loswerden. Aber trotzdem haben die BewohnerInnen mit erstaunlicher Konstanz und mit vielfältigsten Methoden Widerstand geleistet. Sie wehrten die Kündigungen in 15 Fällen ab, haben (fast) alle geräumten Orte wieder besetzt, mobilisierten zu Aktionstagen (»Rigaer Straße Fights Back-Kampagne«) und haben immer wieder verdeutlicht, dass eine Räumung ebenfalls sehr teuer werden würde. Die Mischung aus juristischer Verteidigung, Öffentlichkeitsarbeit und Setzen eines militanten Ausrufezeichens (44) hat sich bisher auch hier als sinnvoll erwiesen. Sie erhielten sogar Unterstützung von F. Hochbrecht, einer Ex-Sekretärin des Hausbesitzers Beulker. Diese machte öffentlich, dass sie monatelang keinen Lohn erhalten hatte. Auch 17 andere Angestellte der Firma seien entlassen worden, nachdem sie monatelang kein Geld bekommen hatten. Beulker steckte offenbar in größeren ökonomischen Schwierigkeiten. So seien schon mal Werkzeuge von den betroffenen Firmen als Pfand einbehalten worden oder häufiger auf Initiative von Gläubigern Beulkers Konten gesperrt worden. Sie bezeugte auch, dass Beulker wiederholt erklärt hatte, »das Haus schon leer zu bekommen«. Des Weiteren habe er einem Elektriker den »unkonventionellen Vorschlag« gemacht, die Stromversorgung des Hinterhauses an den Baustellen-Starkstrom anzuschließen (45). Doch die BewohnerInnen haben es bisher geschafft, ihren selbstbestimmten Freiraum zu verteidigen und feierten im August 2013 ihren 23.Geburtstag.

Aussichten:

Auch aktuell sind diverse Hausprojekte in ihrer Existenz bedroht und wehren sich gegen Räumung oder Mieterhöhungen (46). Dazu zählen u.a. die Reichenbergerstraße 63 A, die 1990 besetzte und inzwischen legalisierte Linienstraße 206 (47) (»Ob Nuriye, ob Linie, Kalle – wir bleiben alle«), die Kirche von Unten (KvU) oder der Wagenplatz Rummelplatz.

Die in den 80erJahren entstandene Kirche von Unten (KvU) (48), ein bedeutender Posten innerhalb der DDR-Opposition, sollte ursprünglich bis zum 1.1.2013 ihre Räume in der Kremmener Str. 9-11 in Prenzlauer Berg, in denen sie seit 1992 verweilt, verlassen. Die Eigentümerin, der Immowert Arkonahöfe Berlin GmbH, die den Komplex »Arkonahöfe« in schicke Eigentumswohnungen umwandeln will, hatte die Räume gekündigt und sämtliche Gesprächsangebote seitens der KvU abgelehnt. Obwohl die Bezirksverordnetenversammlungen (BVVs) Pankow und Mitte durch entsprechende Beschlüsse sich für den Erhalt der KvU (allerdings nur am derzeitigen Standort) einsetzen, war die Zukunft lange völlig ungewiss – erst am 1.3.2014 bezog die Kirche von Unten neue Räume in der Storkower Straße 119, ausgestattet mit einem 5-Jahres Vertrag (49).

Aber auch Häuser, die schon Anfang der 80er Jahre besetzt worden sind, stehen vor dem Aus.

So wurde die Willibald-Alexis Straße 34 in Kreuzberg 1981 im Zuge der großen Besetzungswelle besetzt, dann legalisiert und bis 2004 von der GEWOBAG verwaltet. Zusammen mit anderen GEWOBAG-Häusern wurde es dann privatisiert und für 600.000 € an CITEC/SIAG veräußert und weitere sechs Jahre später für 1,25 Mio. an die jetzigen Eigentümer (50) profitabel weiterverkauft. Seitdem werden nach und nach die Wohnungen verkauft und in Einzeleigentum umgewandelt. Nachdem bisher acht Wohnungen an EinzeleigentümerInnen für etwa 1,5 Mio. € verkauft worden waren, wurden die restlichen Mietwohnungen für 1,8 Mio. € als Paket zum Verkauf angeboten (51). Bei Verkauf aller Wohnungen würde der dann erzielte Wert bei mindestens 3,3 Mio. € liegen und eine Wertsteigerung von 2 Mio. € wäre erzielt. Doch seit geraumer Zeit wehren sich die BewohnerInnen: »Wir wollen ›unser Haus‹ dem Spekulationsmarkt entziehen und gemeinschaftliches Wohnen organisieren. Doch die Eigentümer ignorieren uns, ziehen weiter ihr Geschäft durch. Aber trotzdem sind wir guter Dinge. Nicht weil wir trotz Verdrängungsspielereien in der Wax 34 als Hausgemeinschaft wohnen bleiben wollen und werden, sondern weil wir sehen, dass immer mehr Menschen hier im Kiez, in anderen Stadtteilen in Berlin, nicht mehr hinnehmen, wie sie aus ihren Lebensumfeldern verdrängt werden. Sie stehen auf, bewegen sich, organisieren sich gegen Verdrängung durch steigende Mieten, Modernisierungen, Umwandlungen in Eigentum, Ferienwohnungen. Es entstehen immer mehr Hausgemeinschaften, Projekte, Initiativen und fangen an sich zu vernetzen und die spekulative Verdrängungskultur in Frage zu stellen: selbst organisiert, mit tiefen Misstrauen gegenüber den politischen Parteien jeglicher Couleur. (52)«

Nachdem die Räumungsklage gegen eine Bewohnerin u.a. wegen »Rädelsführerschaft« vor Gericht gescheitert ist, schickten die Eigentümer einem Teil der BewohnerInnen Abmahnungen, in denen diese beschuldigt werden »…Mitglied einer Gruppe zu sein, die das Treppenhaus mit Flugzetteln übersät…«. Darüber hinaus wurden Briefkästen abgerissen und diverse Türschlösser zerstört.

Zum Jahresende 2011 übernahm die neue Hausverwaltung Oliver Rohr GmbH, bekannt aus der Liebigstraße 14 und der Rigaerstraße 94, das Haus.

Der Schokoladen (53) in der Ackerstraße 169/170, ein selbstverwaltetes nicht-kommerzielles Wohn-Kunst- und Kulturprojekt in Berlin-Mitte, 1990 besetzt und 1991 legalisiert, rettete sich erst in letzter Minute durch Selbstkauf und kämpfte jahrelang seit den Kündigungen der Gewerbemietverträge aller Projekte (vom 31.12.2005 und seit dem 31.7.2010 für alle Wohnungen »wegen wirtschaftlicher Nichtverwertbarkeit«) durch den Eigentümer Marcus Friedrich (54) gegen die drohende Räumung. Nach zwei verlorenen Räumungsklagen wurde die für den 22.02.2012 terminierte Räumung der Gewerberäume am 17.02.2012 ausgesetzt. Schließlich wurde nach zähen Verhandlungen am 29.03.2012 der Kauf besiegelt: Unter Einbeziehung eines Kompensationsgeschäftes bzw. einer Direktvergabe eines Grundstücks durch das Land Berlin an den Eigentümer erklärte sich dieser bereit, das Haus in der Ackerstraße 169 an die Schweizer Stiftung Edith Maryon, die es wiederum an den Trägerverein des Hausprojektes in Erbbaupachtvertrag über 99 Jahre weitergab, für circa 1,5 Millionen Euro zu verkaufen. Wesentlich dazu beigetragen hatte die breite Schokoladen-Unterstützungskampagne mit einem offenen Brief, einer Plakatoffensive (»Berlin ohne Schokoladen wird für mich wie Stuttgart«, »Wer einer Kuh die Stirn bietet, muss ein Ochse sein«), einer Demo vor dem Privathaus des Eigentümers in Potsdam-Babelsberg, Besuche seines Fliesenzentrums in Großbeeren, des Fliesenmarktes sowie des Altstadthotels und des Hotels Römischer Kaiser der Familie Friedrich in seiner Heimatstadt Trier, einer Protestaktion beim Liegenschaftsfonds und vielen anderen kreativen Aktionen (52). Auch wenn der Schokoladen gerettet werden konnte, mit der Anhebung der bisher sehr niedrigen Mieten für Gewerbe und Wohnungen für die Rückzahlung der Kredite eines über Wert gekauften Hauses, bei dem der Eigentümer gut abkassierte, wurde ein hoher Preis bezahlt.

Jeweils nach kurzer Zeit wurde die zweimalige Besetzung der Schlesischen Straße 25 geräumt.

So am 30. Mai und am 4. September 2011. Am 30. Mai, dem Tag der Veröffentlichung des Berliner Mietspiegels, wurde zusätzlich das Büro des Grünen Bezirksbürgermeisters Schulz von Friedrichshain-Kreuzberg besetzt. Der Mietspiegel offenbarte in den Jahren 2009 bis 2011 eine Steigerung der Mieten von 8,3 %, von über 10% im Altbau und von 17,5% im unsanierten Altbau, während der damalige Bezirksbürgermeister durch die Unterstützung des Megaprojektes Mediaspree Gentrifizierungsprozesse förderte, stand er der Besetzung scheinbar positiv gegenüber und erschien vor Ort. Das fast komplett entmietete Haus gehörte der damals öffentlichen Wohnungsbaugesellschaft GSW, die es 1993 mit 22 weiteren Häusern vom Bezirk Kreuzberg, dessen Grundstücksämter die landeseigenen Wohngrundstücke verwaltete, geschenkt bekommen hatte, und nach deren Verkauf 2004 an die Whitehall Funds sowie die Investoren Gruppe Cerberus, unmittelbar vor der Besetzung an Mathias Bahr und seine »Schlesische Straße 25 Projekt GmbH« weiterverkaufte (56,57). Der grüne Bürgermeister Schulz gab sich bei einer AnwohnerInnenversammlung im Wrangelkiez erst ahnungslos und später so, als ob er nichts damit zu tun gehabt habe, obwohl er als ehemaliger Baustadtrat von Kreuzberg für die Hausverschenkerei mitverantwortlich gewesen war. In der Manteuffelstraße 7, einem anderen Haus der GSW, war bereits 2008 ein jahrelang leerstehender Seitenflügel über einen Zeitraum von 18 Monaten still besetzt worden, bis er Ende 2009 ohne vorherige Ankündigung (Räumungsverfügung) im Auftrag der GSW durch die Polizei geräumt wurde (58).

Teilweise erfolgreich waren auch die Besetzer*innen der leerstehenden Musikschule in der Falkenberger Straße 183 im Mai 2011, die eine nachbarschaftliche Nutzung des in der Hand des Liegenschaftsfonds befindlichen Hauses verlangten, die Besetzer*innen der Oranienstraße/Adalbertstraße 91 im September 2011, als sie gegen die Umwandlung der Wohnungen in ein Hostel durch den Eigentümer T. Akar Hausverwaltung (59) protestierten und »günstige Wohnungen statt Investorenprofite« forderten, sowie jene, die sich im April 2012 die Weisestraße 47 für mehrere Stunden aneigneten, um u.a. dafür einzutreten, »leerstehende Wohnungen an Hartz IV-BezieherInnen sowie andere Menschen mit geringem Einkommen zu vergeben« (60). Doch alle Häuser wurden noch am gleichen Tag geräumt. Gleich zweimal besetzt und wieder schnell geräumt wurde ein Teil des Seitenflügels, der noch von wenigen Mietparteien bewohnten Bevernstraße 2 (Kreuzberg) am 25.3.2013 und zwei Monate später am 13.5.2013. Interessant ist auch hier die Geschichte des Hauses, denn es gehörte ebenfalls zu den 23 GSW-Häusern (61), die privatisiert wurden. Der jetzige Eigentümer, die Entwicklungsgesellschaft Bevern GmbH, will den Seitenflügel luxusmodernisieren und ein neues Vorderhaus hochziehen.

Allerdings wohnen noch zwei Mietparteien, die bleiben wollen, im Seitenflügel. Täglich finden dort Führungen durch das Haus statt – hin zu einer präparierten Vorzeigewohnung, um KäuferInnen für die luxusmodernisierten Wohnungen zu finden, bei einem Qudartmeterpreis zwischen 3.200 und 4.600 €, obwohl laut Einbringungsvertrag dort weder luxusmodernisiert noch die Wohnungen ohne Einverständnis der MieterInnen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden dürfen. Da die InvestorInnen weder für den Vorderhausneubau noch für die Luxusmodernisierung des Seitenflügels über eine Baugenehmigung verfügen, erteilte das Bezirksamt eine Baugenehmigung für den Vorderhausneubau, der allerdings ohne eine Luxusmodernisierung des Seitenflügels gar nicht machbar ist, da einige der geplanten Vorderhauswohnungen in den Seitenflügel hineinreichen sollen.

Ebenfalls schnell geräumt wurde am 19.10.2013 die Besetzung einer ehemaligen Polizeiwache in der Rathausstraße 12 in Lichtenberg, an der sich insgesamt an die 200 Personen (rumänische obdachlose Familien, andere Wohnungssuchende und UnterstützerInnen) beteiligten, mit dem Ziel ein »selbstorganisiertes gemeinschaftliches Wohnen« zu verwirklichen (62).

Besetzungen gehen weiter!

Doch die Besetzungen gehen weiter. Das Refugee Strike House und das Soziale Zentrum Irving Zola-Haus wurden am 8.12.2012 in der Ohlauer Straße 12 (Kreuzberg) in einer Doppelbesetzung durchgesetzt. Dass es nicht sofort zu einer Räumung kam, lag auch diesmal an mehreren günstigen Faktoren. Zum einen gehören die besetzten Gebäude, eine ehemalige Schule und ein kleiner räumlich getrennter Vorbau dem Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain, der dort ohnehin in naher Zukunft ein Projekte-Haus entstehen lassen will. Dieses Vorhaben ist allerdings das Ergebnis jahrelanger Basiskämpfe von Stadtteilgruppen und politischen Initiativen, und somit nur durch Druck, zustande gekommen. Und zum anderen sind die BesetzerInnen des Refugee Strike House eben jene Refugees (und deren UnterstützerInnen), die mit bezirklicher Duldung seit Oktober 2012 am Oranienplatz campen, um ihren politischen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Das besetzte Irving Zola Haus fordert ein barrierefreies Zentrums – dafür spricht als ein zentrales Argument die komplette Barrierefreiheit des Gebäudes. Denn an: »barrierefreien, selbstverwalteten, unkompliziert und günstig zugänglichen Veranstaltungsräumen herrsche nicht nur in Kreuzberg, sondern weit darüber hinaus (nicht nur) in Berlin ein enormer Mangel« (63). Mit der Namensgebung des US-Amerikaners Irving Zola bezieht sich ein besetztes Haus übrigens erstmalig in der BRD auf einen Aktivisten der Behindertenbewegung (Disability Rights Movement), der u.a. Mitglied der Society of Disability Studies und Herausgeber des Disability Studies Quarterly war. Ob die BesetzerInnen oder ein Teil von ihnen drin bleiben werden und können, bzw. in welcher Form sie sich am neu entstehenden Projekte-Haus beteiligen werden, ist ungewiss. Doch die durch die Besetzung geschaffene Öffentlichkeit wurde nicht nur die Bewerbungsfrist verschoben und erweitert (die ursprüngliche Eröffnung war für den 1.April 2013 terminiert), sondern auch das bisherige intransparente Bewerbungsverfahren steht auf dem Prüfstein.

Mindestens zwei Jahre wohnten in der ehemaligen abbruchreifen Eisfabrik in der Köpenicker Straße in improvisierten Unterkünften ca. 20-30 aus Bulgarien kommende Menschen, ehe das Bezirksamt Mitte im Herbst 2013 auf gerichtlichem Wege den Eigentümer Thomas Durchlaub (Telamon Gmbh) zwang, eine Räumung zu veranlassen (64). Der für den 27.12.2013 vorgesehenen Räumung entgegneten die BewohnerInnen und UnterstützerInnen mit einer Demonstration vor dem Bezirksamt Mitte und einer kurzfristigen Besetzung der St. Michael Gemeinde in der Waldemarstraße in Kreuzberg, was schließlich zu einer vorrübergehenden Übernahme der Kosten für die Unterbringung in einem Hostel bis zum 9.1.2014 führte. Während weitere Verhandlungen mit dem Bezirk Mitte für eine dauerhafte Unterbringung in Wohnungen scheiterten, und die darauffolgenden Begehungen bzw. symbolischen Besetzungen der Bundeszentrale ver.di am 9.1.2014, des Karl-Liebknecht-Haus der Partei Die Linke am 10.1.2014, der SPD-Landeszentrale am 13.1.2014 sowie die Besetzung der Senatsverwaltung für Soziales am 30.Januar 2014 ebenfalls erfolgslos verliefen, wird die leere Eisfabrik von privaten Wachschützern bewacht (65).

Noch nicht geräumt wurden dagegen die in Zelten wohnenden BesetzerInnen und die Kultur-Kneipe »Reäuberläb« auf der Cuvry-Brache. Eine seit über 15 Jahren als Gemeinschaftsgut benutze Freifläche in der Schlesischen Straße (»Brache bleibt Brache«) in Kreuzberg.

Der Immobilienunternehmer Artur Süsskind, der seit 2011 Eigentümer des Areals ist, will dort Wohnblöcke, die »Cuvry-Höfe«, errichten. Als im Sommer 2013 im Zirkus Cabuwazi unter Polizeischutz die Investoren ihre Bebauungspläne für das Cuvry-Grundstück vorstellten, bekamen sei reichlich Gegenwind und nach nur einer Stunde endete die Veranstaltung nach deutlichen Protestverlautbarungen (»Scheiß-Cuvry-Höfe« und »Haut ab«) von AnwohnerInnnen.

Artur Süsskind saß fassungslos auf dem Podium (66).

Bereits 2012 scheiterte die temporäre Ausstellung »BMW- Guggenheim Lab« auf Gelände am Spreeufer. Nach deutlichen Unmutsäußerungen und angebrachten Transparenten (»Steigende Mieten stoppen«, »BMW enteignen – ZwangsarbeiterInnen entschädigen«) bei einer Werbeveranstaltung im März 2013 für das Lab, sowie der Ankündigung weiterer Proteste, hatte BMW das Vorhaben in Kreuzberg kurzfristig abgesagt und zog um in den Pfefferberg im Prenzlauer Berg. Das BMW-Lab ist eine reine Image-Veranstaltung für den BMW-Konzern. Der BMW-Marketing-Chef äußerte sich im Manager Magazin: »(…) Mit der Experiential-branding-Strategie, und ganz konkret mit dem BMW Guggenheim Lab, möchten wir jene ansprechen, die heute vielleicht noch keine besondere Affinität zur Marke BMW haben.« Diese Strategie ging an der Cuvrybrache nicht besonders gut auf; der damalige Kreuzberger Bürgermeister Schulz brachte sein Missfallen über die Absage des Weltkonzern zum Ausdruck: »Ich bedauere, dass diese Chance vertan ist« (so in einem Interview in der Berliner Morgenpost am 20.03.2012) (67).

Auch das von ca. 20 BewohnerInnen seit über einem Jahr besetzte Zeltdorf “TeePee” an der Spree unweit der Eisfabrik, wurde bisher nicht geräumt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich an der »Berliner Linie« grundsätzlich nichts verändert hat. Auch wenn einige Beispiele zeigen, dass Besetzungen unter bestimmten Bedingungen zu Legalisierungen (Wagenplatz Convoi, New Yorck, Stille Straße), vorübergehenden Duldungen mit Perspektive auf mehr (Irving Zola und Refugee Strike House, Ohlauerstraße) oder über Verhandlungen zu Ersatzgrundstücken (Schwarzer Kanal, Nachbarschaftsgarten »Ton, Steine, Gärten«) führen können. In einigen Fällen bemühen sich einzelne Bezirke um Runde Tische, Gespräche und Ersatzgrundstücke, oder betonten die Bedeutung jener bedrohten Projekte für die Stadt. Doch in der Gesamtchoreographie waren bis auf wenige Ausnahmen weder die Bezirke noch der Senat willens oder in der Lage, politische Lösungen zu finden oder Räumungen zu verhindern. Bei den letzten Räumungen von langjährigen Hausprojekten (Brunnenstraße 183, Liebigstraße 14) scheiterten auch die Vorschläge sogenannter Ringtausche von Häusern nicht nur an der Sturheit der Eigentümer, sondern auch am fehlenden politischen Willen der Parteien. Dabei ist der senatseigene Liegenschaftsfonds im Besitz von zahlreichen leerstehender Immobilien. Und in der Vergangenheit hat es, neben dem aktuellen Beispiel der Ackerstraße169/170, auch Ringtausche gegeben: So stand das ehemals besetzte Haus in der Prinzenallee 58 1988 nach Erteilung des Räumungstitel kurz vor der Räumung. Die Eigentümer Hauert&Noack wollten eine Verdreifachung der Miete oder einen Kaufpreis von fünf Millionen DM, bei einem Verkehrswert von 3,4 Millionen DM.

Schließlich verzichteten Hauert&Noack nach Verhandlungen mit dem Senat 1992 auf die Räumung und erhielten im Austausch drei Ersatzobjekte, während mit den BewohnerInnen 1996 ein Erbbaurechts-Vertrag abgeschlossen wurde. Auch die Regenbogenfabrik in der Lausitzerstraße 22a/23 wurde von der Stadt in den 80er Jahren gekauft und mit eigentümerähnlichen Verträgen ausgestattet. Das es letztendlich eine Frage der Prioritäten ist, zeigt auch das Beispiel der Elite-Uni »European School of Management and Technology« (ESMT) im ehemaligen Staatsratsgebäude, die das Gebäude vom Senat geschenkt bekam.

Dennoch verstecken sich die PolitikerInnen allzu oft hinter Gesetzen und Floskeln ihnen »seien die Hände gebunden«. Doch letztendlich ist es der Staat selbst, der die grundsätzliche Ordnung kapitalistischer Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien aufrecht erhält und schützt. Das Privateigentum als Kern dieser Ordnung, als Wesenselement kapitalistischer Gesellschaften wird auch von diesem Staat verteidigt und an vielen Beispielen lässt sich aufzeigen, dass der Berliner Senat den zu erzielenden Profit beim Verkauf einer Immobilie höher bewertet, als den Erhalt eines alternativen Hausprojektes. Insofern kann auch nur die generelle Infragestellung und Aneignung von Privateigentum zu kollektiven und gemeinschaftlichen Eigentumsverhältnissen führen.

Die verschiedensten Häuserbewegungen hatten dies in dem Postulat »Die Häuser denen, die drin wohnen« zum Ausdruck gebracht und in den Hochphasen ihrer Mobilisierungsstärke auch phasenweise politisch durchsetzen können. Doch eine Häuserbewegung existiert zur Zeit nicht, auch wenn vereinzelt größere Mobilisierungen gelingen, eine mediale Wahrnehmung erreicht und der Widerstand deutlich spürbar wird (Yorck 59, Köpi 137, Liebig 14, Rigaer 94, Refugee Strike House/Irving Zola).

Die entscheidende Frage wird sein, inwieweit es in Zukunft gelingen wird, über die eigenen (autonomen) Häuserstrukturen und Freiräume hinaus, und angesichts zunehmender Verdrängungsprozesse, Mieterhöhungen und sozialer Exklusionen prekärer Bevölkerungsgruppen, städtische Bündnisse zu formen, um auf einer breiteren gesellschaftlichen Basis neoliberaler kapitalistischer Stadtpolitik im Allgemeinen und Häuser- und Wohnungsräumungen im Besonderen wirkungsvoller entgegenzutreten. Die Mietenstopp-Demonstration vom 3. September 2011 mit 6.000 TeilnehmerInnen, an der sich auch etliche Projekte beteiligten, zahlreiche und zunehmende sich untereinander vernetzende MieterInnen- und Kiezinitiativen (z.B. Stadtvernetzt) (68), mehrere verhinderte Zwangsräumungen und die breite Mobilisierung durch das Bündnis »Zwangsräumung Verhindern« (69) gegen die Zwangsräumung der Familie Gülbol in der Lausitzer Straße 8 mit einer Beteiligung von fast 1.000 Personen im Februar 2013, sowie die Kontinuität und Beharrlichkeit der MieterInnenproteste von Kotti und Co. (70) mit ihren Lärmdemos und dem Camp am Kottbusser Tor seit Mai 2012, sind Wege in diese Richtung. Auch die Initiative »Leerstand Belegen«, die zum massenhaften Besetzen aufruft und dies als »einen Ansatz sieht, den Widerstand gegen die Wohnungspolitik des Senates und den Widerstand gegen steigende Mieten und Verdrängung zu bündeln« (71), klingt verheißungsvoll.

Ebenso ruft das Aktionsbündnis »Recht auf Wohnen« unmissverständlich zum Ungehorsam auf: »Allen, die in Berlin keine Wohnung finden, auch denen die neu dazu ziehen – refugees, you are welcome – , bleibt also keine andere Wahl: Sie müssen sich ihr Recht selbst nehmen, denn keiner gibt es ihnen. Deshalb Besetzungen jetzt! Von Studierenden bis Rentnern, von Arbeitslosen bis prekär beschäftigten WissenschaftlerInnen, von obdachlosen Familien bis zu alleinerziehenden Müttern und Vätern – gemeinsam nehmen wir uns unser Recht auf eine aktive Wohnungssuche.« (72)

Ob es aber zu einer neuen Besetzungswelle, zu Aneignungen oder Mietstreiks kommen wird, ist schwer vorauszusehen – Bewegungen lassen sich nicht planen. Doch manchmal verändern sich Dinge, die wir lange für unmöglich gehalten haben. Es liegt auch an uns – Selbstorganisierung ist der erste Schritt.

(1) Schätzungen gehen von über 200 legalisierten Häusern aus.

(2) Die Namensgebung erfolgte aufgrund der vielen Eimer Bauschutt, die nach der Besetzung zur Instandhaltung hinausgeschafft werden mussten.

(3) brunnen183.blogsport.de

(4) de.indymedia.org/2011/08/314894.shtml?c=on#c731981

(5) liebig14.blogsport.de/medien/dokumente/

(6) Taz, 16.3.2010.

(7) de.indymedia.org/2010/03/275756.shtml

(8) scharni29.blogsport.de

(9) linienhof.blogsport.de

(10) linienhof.blogsport.de

(11) Radio ONDA, PATEX, Sri Lanka Gruppe, Afrikanische Frauen-Initiative, Antimilitaristische angolanische Menschenrechtsinitiative, Anti-Hartz-Bündnis, Antirassistische Initiative Berlin.

(12) Zuvor scheiterte am Abend der Räumung eine Besetzung der Oranienstraße 40 durch UnterstützerInnen

(13) Erklärung der Besetzer_innen in: http://de.indymedia.org/2010/06/283755.shtml

(14) www.bz-berlin.de/bezirk/friedrichshain/sind-touristen-fluch-oder-segen-article1261017.html

(15) Berliner Zeitung vom 15.6.2010, K. Schmidl und A. Kopietz: »Ermittlungen wegen Hausfriedensbruchs«.

(16) sofa-im-bethanien.blogspot.com

(17) http://stillestrasse10bleibt.blogsport.eu/2012/08/01/aufruf-zum-miteinander/

(18) http://www.primusimmobilien.de/startseite/immobilien/berlin-mitte/michaelkirchplatz-4-6.html

(19) de.indymedia.org/2003/10/63139.shtml

(20) de.indymedia.org/2003/10/63139.shtml

(21) Mieterecho Nr. 309, Das Objekt der Begierde, April 2005.

(22) queersandwagen.blogsport.de/presse/

(23) de.indymedia.org/2009/10/264026.shtml

(24) www.schwarzerkanal.squat.net/news.html

(25) rummelplatz.blogsport.de

(26) wohnenambadeteich.org/de/lage.htm

(27) Berliner Zeitung vom 30.11.2009.

(28) gaerten-am-mariannenplatz.blogspot.com

(29) Presseerklärung der »BesetzerInnen des Geländes hinter dem Bethanien-Nordflügel, 16.6.2008« in de.indymedia.org/2008/06/220081.shtml

(30) Mähren-Immobilien, Mähren-Grundbesitz und Mähren-Invest GmbH.

(31) onestruggle.blogsport.de

(32) www.wba.blogsport.de

(33) liebig14.blogsport.de

(34) Taz, 28.01.2011

(35) Taz, 02.02.2011

(36) daneben.blogsport.de

(37) Taz, 5.2.2011.

(38) Berliner Morgenpost, 3.2.2011.

(39) amantine, Gender und Häuserkampf, Unrast 2011, S.26.

(40) Tagesspiegel, 09.02.2011

(41) liebig14.blogsport.de/

(42) koepi137.net

(43) rigaer94.squat.net

(44) Ein militantes Ausrufezeichen war z.B. die Aktion der Gruppe »das Sonnenschein-Komitee«, die am 2.2.2009 den Luxuswagen des Hausverwalters Oliver Rohr angezündete. In: Interim Nr. 688, S.7.

(45) Alle diese Angaben bekräftigte Hobrecht gegenüber der Justiz in einer eidesstattlichen Erklärung. In: www.friedrichshain-magazin.de/archiv/

(46) Die aufgeführten Beispiele sind exemplarisch, es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben.

(47) Die Eigentümer, Frank Wadler und Bernd-Ullrich Lippert versuchen, die Bewohner_innen rauszuklagen.

(48) Zur Geschichte siehe: Wunder gibt es immer wieder, Fragmente zur Geschichte der Offenen Arbeit Berlin und der Kirche von Unten. Kirche von Unten (KvU) Berlin (Hg.), Eigenverlag Berlin 1997.

(49) http://kvu.blogsport.de/ und http://kvu-berlin.de/

(50) Willibald-Alexis-Str. 34 Grundbesitz GmbH, persönlich haftender Gesellschafter: Ebersstr. 62 Verwaltungs GmbH, deren Geschäftsführer: Y.Miller und Y.Shaked.

(51) http://willibald-alexis-strasse34.blogspot.de/

(52) willibald-alexis-strasse34.blogspot.com

(53) Der Name rührt von der ehemaligen Schokoladenfabrikation von Julius Stullgy von 1911-1971.

(54) Markus Friedrich, Beteiligungsgesellschaft Friedrich Trier GmbH c/o Fliesenzentrum Deutschland, Großbeeren.

(55) schokoladenverteidigen.blogsport.eu

(56) Flugblätter zur Besetzung, 30.5. und 4.9.2011 in: Archiv Kollektivbibliothek New Yorck im Bethanien.

(57) www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2011/me-single/article/23-verschenkte-haeuser-in-kreuzberg.html

(58) gsw23.blogsport.eu/gsw23/manteuffelstr-7/

(59) T. Akar ist auch Besitzer der 1980 besetzten und später legalisierten Adalbertstraße 6 und kündigte dort dem A6 Laden, wo politische und kulturelle Veranstaltungen ihren Platz hatten.

(60) http://de.indymedia.org/2012/04/329084.shtml

(61) gsw23.blogsport.eu

(62) http://de.indymedia.org/2013/10/349493.shtml

(63) http://irvingzolahaus.blogsport.de/images/offener_brief_soziales_zentrum.pdf

(64) Siehe auch Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20.12.2013.

(65) http://wirbleibenalle.org/ Stand 17.Januar 2014

(66) http://www.taz.de/!118567/

(67) http://bmwlabverhindern.blogsport.de/

(68) http://mietenstopp.blogsport.de/stadtvernetzt/

(69) http://zwangsraeumungverhindern.blogsport.de/

(70) kottiundco.net

(71) leerstandbelegen.blogsport.de

(72) http://wirbleibenalle.org/?p=996